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AutorenbildKirstin

Kreta-Tipp für den Osten: Spinalónga

Aktualisiert: 1. Okt.

"Die Lieder, die der Wind hier singt, sind anders als diejenigen, die in Chaniá zu hören sind oder in Ágios Nikólaos."



Blick auf Spinalónga bei der Anfahrt.


Hinweis:

Ein Großteil des nachfolgenden Textes stammt aus meinem Buch " Zurück nach Kreta Zwanzig Tage Inselmagie" .


Heute jedoch nicht zum Bummeln und Staunen, sondern um mit einem Ausflugsboot auf die sogenannte "Lepra‐Insel" Spinalónga zu schippern.

Idyllisch von kristallklarem Wasser umgeben, liegt die heute unbewohnte Insel mit der mächtigen Festungsanlage im Ägäischen Meer, dem Golf von Mirabéllo.

„Lepra-Insel“, so wird das rund acht Hektar große Eiland mit einer Länge von 440 und einer Breite von etwa 250 Metern genannt.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Angst vor der hochansteckenden Krankheit Lepra sehr präsent.

Zur damaligen Zeit gab es keine wirksame Behandlungsmöglichkeit. Für viele Menschen bedeutete eine Erkrankung mit Lepra früher oder später den sicheren Tod.

Die meisten Erkrankten mussten wie Ausgestoßene fernab ihrer Wohnsiedlungen bleiben, bevor die kretische Regierung 1904 veranlasste, auf Spinalónga eine isolierte Leprakolonie zu errichten.

Mit diesem Beschluss wurden hunderte Familien schmerzlich voneinander getrennt.

Auf Spinalónga waren die kranken Menschen unter sich.

So gut sie dazu in der Lage waren, konnten sie auf der Insel ihren Alltag bestreiten.

Mit Booten wurden von Kreta aus Medikamente, die Post und Lebensmittel nach Spinalónga gebracht.

Nach und nach hatten sich die Erkrankten eine Insel mit einer eigenen Infrastruktur erschaffen. Es gab zum Beispiel kleine Geschäfte, eine Kirche, ein Krankenhaus und eine Bäckerei.

Es wurde gewohnt, geliebt, gelebt und gestorben.                                               

In den 30er Jahren wurde in der Nähe des Hafens eine „Desinfektionsschleuse“ eingerichtet.

Erst von dem Zeitpunkt an war es den Besuchern möglich, ihre geliebten Angehörigen wiederzusehen.

1953 wurden die ersten wirksamen Mittel gegen Lepra eingesetzt. Damit endete, zumindest für einige der Erkrankten, eine leidvolle Geschichte. Manche Menschen sollen sogar geheilt zu ihren Familien zurückgekehrt sein.

Als eine der letzten Leprakolonien Europas wurde Spinalónga 1957 von dem letzten Bewohner verlassen.

Heute wird die Insel während der Hauptsaison von zahlreichen Ausflugsbooten angesteuert.

Am Kürzesten ist das Übersetzen nach Spinalónga von Pláka aus. Die Überfahrt von Eloúnda dauert etwa eine halbe Stunde.

Buchtipp:

Die britische Autorin Victoria Hislop beschreibt in ihrem fesselnden Roman „Insel der Vergessenen“ das Schicksal einer Familie aus Pláka, die wegen der Erkrankung an Lepra voneinander getrennt wird.


Bis zur Abfahrt unseres Bötchens haben wir etwa eine halbe Stunde Zeit. Genug, um uns in der Nähe des Hafens von Eloúnda in einer Bäckerei mit süßen Blätterteigtaschen und Orangensaft zu versorgen. Das kleine, weiße Boot mit den Holzsitzen nimmt uns wiegend in Empfang.

Die Plätze sind leer.

Mit welchen Gefühlen mögen die Kranken ihr Boot betreten haben – wohl wissend, dass sie ihre Frauen, Männer, Kinder, Freunde, Nachbarn und Haustiere vermutlich niemals wiedersehen würden?

Was nimmt man mit, wenn so viel Vertrautes hinter einem, aber nichts Vertrautes vor einem liegt?

Würde ich verabschiedet werden wollen, wenn ich an der Stelle der Erkrankten gewesen wäre? Oder würde ich die schwere Fahrt alleine antreten wollen?


Überfahrt nach Spinalónga mit gemischten Gefühlen ...


Mein bester Ehemann von allen reicht mir den Orangensaft mit den Eiswürfeln. Heute bin ich ganz besonders froh und dankbar, ihn an meiner Seite zu haben – wohl wissend, dass wir gemeinsam nach Spinalónga übersetzen und auch gemeinsam wieder zurückkehren werden.

Die Menschen, die zur Zeit der Lepra diesen Weg zurückgelegt haben, ahnten wohl, dass sie ihre Liebsten nie wiedersehen würden.

Ein Schiffer löst das Bootstau. Kurz darauf vibriert der Boden unter meinen Füßen.

Der Fahrtwind lässt so ziemlich alles flattern, was nicht befestigt worden ist. Wir müssen höllisch aufpassen, dass unsere Reiseschildkröte Zoé nicht über Board geht.

Vielleicht bilde ich es mir nur ein. Aber der Himmel über Kreta kommt mir heute besonders blau vor.


Kreta Tipp: Spinalónga ist ein bewegender Ort mit Gänsehaut-Garantie. Hier seht ihr die Festungsmauern von Spinalónga.


Das Sonnenlicht hinterlässt auf der tiefblauen Meeresoberfläche einen silbrigen Funkentanz.

Schon von Weitem sehe ich die Insel mit der massiven runden Festung.

Friedlich wie ein verschlafener Mini-Kosmos taucht sie im Meer auf.

Würde ich es nicht besser wissen, hätte ich den Gedanken, eine „ganz normale“ paradiesische Insel zu besuchen.

Aber Spinalónga ist anders.

Die Lieder, die der Wind hier singt, sind anders als diejenigen, die in Chaniá zu hören sind oder in Ágios Nikólaos.

Es sind Lieder, die von Abschied singen, von Trauer, von Schmerz, von Vermissen und von unsagbarem Leid. Aber es sind auch Lieder der Zuversicht, der fröhlichen Tatkraft und der Hoffnung.

Stumm setze ich meinen Fuß auf die schicksalhafte Insel.

Ich höre Kreta flüstern:


  "Alles ist so,

wie du es zu sehen bereit bist."

  

Durch einen steinernen, dunklen Schlauch gelangen wir in den Ortskern, der – im wahrsten Sinne des Wortes – wie ein Licht am Ende des Tunnels auftaucht.

Er wird auch „Dantes Tor“ (Tor zur Hölle) genannt.


Mein Gang durch "Dantes Tor"


Emotionen voller Widersprüche umklammern mich wie ein viel zu enges, aber dafür bunt geblümtes Korsett.

Beschämt werfe ich einen Blick auf die Kamera in meinen Händen.

Der neugierige Foto-Monk ist schon in seiner Startposition.

Du meine Güte, bin ich etwa nicht besser als ein mieser, gewissenloser Paparazzi?

Kreta kommt mir zur Hilfe:


"Hinter allem, was du tust,

stellt sich die Frage nach

deiner Absicht."


Meine Absicht besteht vor allem darin, anderen Menschen so einfühlsam wie möglich von diesem besonderen Ort zu erzählen.

Das ist Herzens-Tourismus.

In dem „Desinfektionshaus“ wurden die Besucher Spinalóngas ab den 1930er Jahren gründlich desinfiziert, wenn sie die Insel besuchten.

Schon nach kurzer Zeit in der „Geisterstadt“ bekommen wir eine Vorstellung davon, wie sich das Leben, Lieben und Sterben auf Spinalónga abgespielt haben könnte.

Manche der Wohnhäuser sind gut erhalten.


Teilweise gut erhaltene Häuser lassen die Geschichten der Menschen, die hier wohnten, lebendig werden.


Einige sogar so gut, dass ich mir mühelos vorstellen kann, wie Kinder vor den Häusern spielen, Frauen ihre Wäsche aufhängen, wie Essensduft durch die geöffneten Fenster dringt oder wie sie ihre Blumen in den Kästen auf den Holzbalkonen gießen.

Manchmal, wenn es für kurze Momente ganz still wird auf Spinalónga, ist es einfach zu spüren, was sich hier zugetragen haben könnte.

Vielleicht haben, wie auf Kreta, die alten Männer mit ihren Gehstöcken vor den Häusern gesessen. Einige von ihnen mögen von der Krankheit gezeichnet gewesen sein. Anderen wird man nicht viel davon angesehen haben.

Sie werden darüber gesprochen haben, was sie bewegt, und wie sie ihr Leben auf der Insel verbessern können. Bestimmt haben sie ebenso gelacht, geweint, gehofft und geliebt wie ihre Angehörigen auf Kreta. Allerdings ohne die Aussicht auf ein freies Leben außerhalb dieser Umgebung.

Es gab eine Schule, eine Kirche, einen Frisörsalon. Sogar ein Freilichtkino und Tavernen.

Mit ziemlich großer Sicherheit wurde gegessen, getrunken, geraucht, gespielt, gelacht und gelitten.

Leben – so, wie es nun einmal ist. Und doch alles andere als gewöhnlich.


Abb.1: Fotos aus dem Archiv, Abb.2: Handgefertigtes Spiel aus der damaligen Zeit, Abb. 3: Friedhof auf Spinalónga


Wie auf Kreta stehen Häuser mit dicken Steinmauern, bunten Holztüren und Fensterläden nebeneinander. Sobald sie vom Wind erfasst werden, quietschen die Türen in den Angeln der halb verfallenen Gebäude.

Schiefe Bäume haben es erfolgreich geschafft, sich ihren Weg zwischen den Gemäuern zu bahnen.

Wenn ich in den zugänglichen Ruinen bin, kann ich durch die scheibenlosen Fenster Kreta sehen. Die vertraute Insel ist zum Greifen nah. Aber meine ausgestreckte Hand fasst ins Leere. Sie verhungert in einem traurigen Nichts und lässt mein Herz schwer werden.

Aber selbst zwischen den dicksten Steinen wachsen zarte Pflänzchen, die ihre Blüten in die Richtung des Sonnenlichts wenden.

Ihr Lebenshunger erinnert mich an den unerschütterlichen Lebensdrang der Menschen von Spinalónga.

Heeerz-Momeeent!!!



Die ehemaligen Krämerladen sind zum Museum geworden.

Wir bekommen einen Eindruck davon, mit welchem Spielzeug sich die Kinder beschäftigt haben.

Einfache Gebrauchsgegenstände wie Werkzeug, Schüsseln und Geschirr erzählen vom Alltag der Menschen auf Spinalónga.

Medizinisches Zubehör wie Arzneifläschchen, Spritzen, Schalen und Ampullen erinnern an die dramatischen Hintergründe dieses einfachen Lebens.

Etwas oberhalb liegt das schlauchartige Krankenhaus. Mindestens einmal wöchentlich soll ein Arzt wegen der Versorgung der Kranken auf die Insel gekommen sein.

In den etwa fünf Jahrzehnten sind viele Inselbewohner gestorben.                                  

Der winzige Friedhof war für die hohe Anzahl der Leichname nicht ausgerichtet.

Daher wurden ihre Gebeine von Zeit zu Zeit ausgehoben und in Katakomben gebracht.

Mir kommt das Ganze sehr surreal vor.

Der Duft nach Sonnencreme und Frühling aktiviert meine Urlaubsantennen. Aber ich stehe vor den Steinplatten, von denen ich weiß, dass unter ihnen die Überreste von hunderten namenlosen Menschen liegen.

Es sind „die Vergessenen“ von Spinalónga.

Doch ich bin sicher, dass sie in den Herzen derer, die sie geliebt haben, niemals vergessen wurden.

An der Ablegestelle warten wir über eine Viertelstunde vergeblich auf unser Bötchen.

„Ich glaube, die haben uns hier vergessen“, überlegt mein Mann.

Für einen kurzen Moment habe ich eine Gänsehaut. So besonders ich Spinalónga auch finde, übernachten will ich da nicht!

Eine halbe Stunde später trudelt unsere weiße Schwimmschaukel doch noch ein.

Sigá, sigá! (Immer langsam, immer mit der Ruhe!)

Von unseren Plätzen sehen wir, wie sich die Insel immer weiter von uns entfernt.

Nein, für mich ist Spinalónga keine „Lepra-Insel“. Für mich ist sie eine Schicksals-Insel mit einer wichtigen Botschaft:


Selbst die auswegloseste Situation

kann gemeistert werden,

wenn die Menschen zusammenhalten.

                

Unser Fazit:

Spinalónga ist für mich persönlich weit von einer "Touristenattraktion" entfernt.

Es ist einer der Orte auf Kreta, die uns nachhaltig berührt und bewegt haben.

Ein Besuch der Insel lohnt sich aus meiner Sicht sehr, wenn man sich von der einzigartigen Geschichte Spinalóngas angesprochen fühlt.






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